Start STADTENTWICKLUNG Warum siedeln sich in Bochum kaum neue Unternehmen an?

Warum siedeln sich in Bochum kaum neue Unternehmen an?

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Anders als in fast allen anderen Großstädten entwickelt sich die Wirtschaftskraft Bochums und Wattenscheids seit Jahren negativ bzw. stark unterdurchschnittlich. So nahm die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Bochum im Zeitraum 2000 bis 2014 um 5,4% ab, während sie in NRW im gleichen Zeitraum um 6,4% zunahm (Essen +3,4%, Bonn +12,3%). Die Arbeitslosenquote im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen liegt in Bochum bei 11,0, während sie NRW-weit bei nur 8%, in Westdeutschland sogar bei nur 5,8% liegt. Auch die Umsätze für Lieferungen und Leistungen entwickelten sich in Bochum negativ: -6,9% im Zeitraum 2009 zu 2013, während sie in NRW (+10,9%), Deutschland (+17,7) und Dortmund (+22%) erheblich zunahmen.

Betrug die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit pro Einwohner (BIP pro Einwohner in Bochum und Wattenscheid) 2012 nur 29.511 Euro, betrug diese in NRW 32.882 Euro (Essen 41.118 Euro, Bonn 59.562). Immerhin nahm die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auch in Bochum im Zeitraum 2000 bis 2012 um 18% zu, jedoch unterdurchschnittlich: in ganz NRW nahm sie um 28,2% zu, in Bonn um 36,8%., in Essen sogar um 37,2%.

Wo liegen die Ursachen der negativen Entwicklung? Auf Betreiben der neuen Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsgesellschaft (EGR, Prof. Rolf Heyer und Ralf Mayer) wurden die genannten Zahlen der Politik, der IHK, der Handwerkskammer wie der Kreishandwerkerschaft am 15.12.15 vorgestellt. Die Folgen der bisherigen Passivität der städtischen Wirtschaftspolitik wurden schonungslos offen gelegt.So wurde deutlich, dass eine wesentliche Ursache der mangelnden Entwicklung der städtischen Wirtschaft eine ungenügende Bereitstellung von geeigneten Gewerbeflächen ist. So gelang in Bochum im Zeitraum 2005 bis 2013 keine einzige Ansiedlungen von Unternehmen mit einem Flächenbedarf über 2 ha, während der entsprechende Anteil aller Neuansiedlungen in der Metropole Ruhr bei rund 51% lag. Die städtische Wirtschaftsförderung hat es versäumt entsprechende Flächen anzubieten. Also siedelten sich entsprechende Unternehmen nicht in Bochum und Wattenscheid an, sondern in anderen Städten der Metropole Ruhr.

Ein weiteres Problem in Bochum: Es gibt zwar in Bochum und Wattenscheid viele Flächen, die grundsätzlich für die Ansiedlung von Gewerbe geeignet sind, überdurchschnittlich viele sind aber mit schwerwiegenden Nutzungshindernisse belegt (in Bochum 54%, in der Metropole Ruhr nur 29%). Schwerwiegende Nutzungshindernisse liegen vor, wenn die Kosten für die Nutzbarmachung einer gewerblichen Fläche (z.B. für Abriss, Erschließung oder die Beseitigung von Altlasten) so hoch sind, dass sich deren Beseitigung für potentielle Käufer nicht mehr lohnt. Sonstige Nutzungshindernisse können Defizite bei äußerer Erschließung oder Entwässerung, Aufwendungen für Teilsanierung oder mangelnder Verkaufsbereitschaft der Eigentümer sein. In Bochum sind insgesamt 70% aller potentiellen Gewerbeflächen mit Nutzungshindernissen belastet, die die Ansiedlungen von Unternehmen erheblich erschweren bzw. aussichtslos machen. Zum Vergleich, in der Metropole Ruhr sind es nur 47%. Flächen ohne Nutzungshindernisse für Ansiedlungen über 2 ha stehen sogar nur in äußerst geringem Umfang zur Verfügung. Die Gewerbeflächenanalyse des BfR (Büro für Regionalanalyse, Dortmund) und des Büros für Regionalentwicklung (GseProjekte, Dinslaken), dem die dargestellten Zahlen entnommen wurden, kommt zu dem Fazit: „Der Anteil restriktionsbelasteter Flächenpotentiale [Flächen ohne Nutzungshindernisse] liegt in Bochum – im Vergleich zur Metropole Ruhr – exorbitant hoch“.

Das bedeutet, das Angebot an Gewerbeflächen der städtischen Wirtschaftsförderung ging über Jahre im Wesentlichen am Bedarf komplett vorbei. Entsprechend liegt auch die Leerstandsquote bei Gewerbeflächen in Bochum und Wattenscheid über dem Durchschnitt der Metropole Ruhr. Diese Ergebnisse sind erschreckend und letztlich die Folge einer Politik von Rot-Grün, die sich bisher allenfalls am Rande mit einer Gestaltung des Strukturwandels beschäftigt hat. So kommen mangels Bereitschaft die Probleme zu analysieren, erst jetzt, Jahre zu spät, die verheerenden Defizite ans Licht. Pro Jahr werden in der Stadt Bochum durchschnittlich 4,3 ha Gewerbefläche vermarktet. Anzustreben wären 10 ha, also mehr als das Doppelte. Die bisherigen Anstrengungen der Wirtschaftsförderung waren somit absolut ungenügend und wenig zielgerichtet. Entsprechend kommt die Gewerbeflächenanalyse zu dem Ergebnis: „Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Bochum fällt hinter derjenigen vergleichbarer Gebietskörperschaften zurück“. Auch der Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter auf den gewerblich genutzten Flächen liegt mit rund 37% deutlich unter dem Durchschnitt der Metropole Ruhr (43%).

Was ist zu tun?

Schnellstmöglich muss die städtische Wirtschaftsförderung zu einem Angebot an Gewerbeflächen kommen, das von ansiedlungswilligen Unternehmen auch benötigt und nachgefragt wird. Dazu müssen gezielt neue Gewerbeflächen erschlossen werden, indem die bestehenden Nutzungshindernisse abgebaut werden.Das aber ist sehr teuer. Die Beseitigung der Nutzungshindernisse (Sanierung und Erschließung von Flächen, Beseitigung von Altlasten, Abriss von nicht nutzbaren Gebäuden) ist finanziell wie organisatorisch aufwändig und dauert seine Zeit. Die Versäumnisse der Vergangenheit in dieser Hinsicht müssen jetzt so schnell wie möglich aufgeholt werden. Die Beseitigung der Hindernisse kann bis 250 Euro/qm Fläche kosten. Im Mittel liegt der Finanzbedarf bei 120-150 Euro/qm. Im Vergleich kann bei der Vermarktung in Bochum im Durchschnitt nur ein Kaufpreis von 80 Euro/qm erzielt werden.

Eine stadtübergreifende Strategie zur gewerblich-industriellen Flächenentwicklung muss entwickelt werden. Insbesondere müssen schnellst möglich Flächen verfügbar gemacht werden, die für Ansiedlungen von 2 ha oder mehr geeignet sind. Hier besteht das größte Defizit. Auch müssen Flächen, bei denen eine Beseitigung der Nutzungshindernisse nicht lohnenswert erscheint, aufgegeben werden und stattdessen bisher nicht in Betracht gezogene Flächen gesucht werden, die ggf. gewerblich nutzbar sind. Die Kosten für die Beseitigungen von Nutzungshindernisse sind, auch aufgrund der bisherigen Untätigkeit in diesem Bereich, so hoch, dass die Stadt sie nicht alleine schultern kann, es bedarf einer Sonderförderung des Landes für Bochum. Diese wollen Politik, EGR und Wirtschaftsförderung beim Land jetzt einfordern.

Wie geht es weiter?

Endlich haben die parteiunabhängigen Spitzen der städtischen Entwicklungsgesellschaft und der parteilose Stadtbaurat, einen Prozess angestoßen, wie der Strukturwandel in Bochum aktiv gestaltet werden kann. Es scheint so, als wollen alle Fraktionen im Rat diesen Prozess konstruktiv unterstützen. Die erschreckenden Zahlen haben nunmehr auch die Parteien, die die Stadt seit Jahrzehnten regieren, dazu bewegt, ihre bisherige Passivität aufzugeben. Jetzt ist es wichtig, dass sich die politischen Akteure nicht weiterhin nur als Beobachter des Geschehens, sondern auch als Gestalter begreifen, die selbst aktiv Ideen und Strategien entwickeln, wie der Strukturwandel in der Stadt vorangetrieben werden kann. Jede Idee und jeder Vorschlag muss vorurteilsfrei geprüft werden, auch wenn er vom vermeintlichen politischen Gegner kommt. Das reflexhafte und kleingeistige Ablehnen fast aller Vorschläge durch SPD und Grüne, die nicht aus den eigenen Reihen kommen, muss ein Ende haben. Entscheidend ist, welches Potential Ideen haben, nicht von wem sie kommen.

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