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Positionelle Anträge

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So, mittlerweile dauert mir das alles zu lange. Ständig muss ich wem was erklären, weil niemand sonst mein Genie besitzt. Das kostet Unmengen an Zeit, und ich verzettele mich zwangsläufig in kleinen Kleinigkeiten.

Also steht es nun wohl an, dass ich euch etwas mehr enthülle von den Geheimnissen von Magie und Zauberei, meine Untertanenen! Das tue ich, damit ihr das nächste Mal schneller schaltet. Eine minimale Hoffnung bleibt mir jedenfalls in der Hinsicht.

Nehmen wir darum nun das Schachspiel als Vergleich an die Hand.

Darin gibt es zunächst einmal Strategie und Taktik. Die Taktik ist kurzfristig. In der Taktik rechnet man über eine überschaubare Anzahl von Zügen bis zu einem konkreten Ziel, etwa dem Gewinn einer Figur. Die Strategie ist langfristig. Strategisch plant man seine Vorgehensweise für einen größeren Teil der Partie. Das kann etwa ein verstärktes Spiel an einem Flügel sein, eine grundsätzlich defensive Vorgehensweise, oder ein Minoritätsangriff.

Bei darüber hinaus gehenden Konzepten schlackern viele Leute mit den Ohren. Ein Spiel auf Zeit leuchtet vielleicht noch dem Einen oder Anderen ein. Ähnliches gilt für psychologische Kniffe.

Aber ein Verweis auf positionelles Spiel löst bei der Mehrheit der Erdlinge ziemlich lange Gesichter aus. Das gilt leider nicht nur für Goblins. Also, liebe Kinder: Was ist positionelles Spiel?

Im Schach ist es ein positionelles Vorgehen, wenn man eine Figur auf ein Feld stellt, auf dem sie richtig steht. Dabei hat man aber keinen weiteren Plan, und bezweckt nichts Konkretes, außer die Figur auf ein Feld zu stellen, auf dem sie gut steht. Gut steht sie auf einem Feld nicht nur, wenn sie dort aktuell etwas man machen kann, sondern, wenn sie da theoretisch unter anderen Umständen etwas machen könnte.

Dieses Prinzip lässt sich auf andere Lebensbereich umsetzen. Dort wirkt es dann unverstanden, und mithin magisch.

Nun hatte ich die tolle Idee, ungefähr sowas in der Politik auch zu treiben, namentlich mit Anträgen und sonstigem Schriftgut. Mein Gedanke dabei war, dass andere Leute fürchterlich viel Zeit mit Staunen verbringen könnten, weil solcherart gesetzte positionelle Anträge etwas bewirken, obwohl sie gar keine monokausal ausrechenbare Wirkung haben, wie der Rest von dem Zeugs.

In der Folge sollen Leute ehrfürchtig erschaudern vor der Magie, die sie solcherart zu spüren bekommen. Das war der Plan. Nur leider fische ich proportional im Trüben, je weniger die Leute verstehen. Die indirekten, räumlichen Wirkungen sind wie geplant vorhanden. Aber die Figuren überhaupt erst in Position zu bekommen, erweist sich als komplizierter als gedacht.

Wieder zurück beim Schach kann eine Figur eine halbwegs begrenzte Art von Zügen machen, wenn sie denn (bei passender Gelegenheit) aktiv wird, eine Dame mehr, ein Bauer weniger. Das Spiel findet solange aber um sie herum und an ihr weitgehend vorbei statt. Die Figur wird nur dem Gegner ständig unangenehm im Wege herum stehen und stören.

Nähert sich ihr das weitere Spielgeschehen, so kann sie auch direkt eingreifen. Aber das war nicht das Ziel, als sie in Position gebracht worden ist. Zu dem Zeitpunkt waren die Vorgänge überhaupt noch nicht absehbar, die nun relevant werden. – Sollte ich hier ergänzen, dass die überwiegende Zahl der heutigen Schachgroßmeister zu einem wesentlichen Teil mit positionellen Zügen plant?

Entsprechend übertragen muss es auch in der Politik gelten. Die „Figuren“ dabei sind aber nicht die Zettel, auf denen die Anträge meinethalben ausgedruckt sind. Es sind die in ihnen enthaltenen Ideen. Diese setzen sich durch, wenn ihre Zeit gekommen ist. Die Art und Weise, wie sie das tun, steht aber zu dem Zeitpunkt, da man sie in Position bringt, nur sehr bedingt fest.

Auch Ideen beinhalten Möglichkeiten, wie sie real werden können. Auch sie schlummern scheinbar und werden aktiv, sobald sich eine Stellung in ihre Richtung verschiebt.

Die Idee von Statuen etwa, die erst im Winter sichtbar werden, kann im Winter in den Köpfen aktiver sein als im Sommer, auch, wenn ein dazugehöriger Antrag im Sommer eingebracht worden ist. Er „schlummert“ dann, während er einen Raum kontrolliert. Er wird zum Beispiel aktiv, wenn eine Person (zufällig oder nicht) an einer Stelle vorbeiläuft, die sich für so eine Statue besonders eignen würde.

Ähnliches gilt an vielen anderen Stellen. Positionelles Spiel bedeutet, Positionen zu besetzen, bevor es jemand anders macht. Ob oder wann ihre Macht sich entfaltet, steht erst einmal in den Sternen. Aber je mehr Positionen man besetzt hat, desto wahrscheinlicher wird es, dass einzelne davon relevant werden.

In der Politik ist es außerdem wichtig, Positionen zu haben, die nicht schon jemand anders hat. Das Spiel ist offen und erweiterbar, und es hat erheblich mehr als nur 32 Figuren und 64 Felder. Für die Praxis ist es dazu hilfreich, möglichst neue Konzepte einzubringen. Sonst hat jemand anders eine Position doch schon irgendwo.

Wenn alles glatt läuft, ploppt dann am Ende später irgendwo eine Position hervor, und eine Idee wird real, wo es niemand vorher erwartet hatte. Dann kucken alle Leute blöd aus der Wäsche und denken sich: „So etwas kann nicht sein. Da muss jemand Zauberei angewandt haben.“

Bleibt böse!

Euer Tobias, der sehr finstere

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